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Justinus Pieper trifft ... den Autor Heinrich von der Haar

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Quelle: globe-m (www.globe-m.de/de/boulevard/justinus-pieper-trifft-den-autor-heinrich-von-der-haar)


Heinrich von der Haar hat mit seinem Roman „Mein Himmel brennt“ bei dem Wettbewerb romansuche.de von 168 Bewerbern den Ersten Preis

gewonnen. Sein Roman erscheint Anfang März im Zürcher KaMeRu Verlag.


Globe-M: Sie haben einen Roman geschrieben, der einen Jungen aus ärmlichsten Verhältnissen zum Helden hat.

Heinrich von der Haar: Ja. Das beschäftigt mich schon lange. Ich habe auch über die „Existenzielle Sicherung arbeitsloser Jugendlicher in der

Bundesrepublik“ promoviert. Denn ich kam selbst vom Thema Armut her, schon von meiner Herkunft. Im Roman beschreibe ich eine Kindheit

der 50er und 60er Jahre, die Entwicklung eines Jungen vor dem Hintergrund des Bauernhofsterbens in einem münsterländischen Dorf.


Wie entwickelt sich ein Bauernjunge im Unterschied zu anderen?

Manche denken ja, die 50er, 60er Jahre in der Bundesrepublik waren Wirtschaftswunderjahre. Doch für Bauerndörfer war es umgekehrt! Sie

starben, und die Bauernkinder gerieten in existenzielle Notlagen, sie erleben ja die dörfliche und religiöse Enge sowieso geballt. Die Überlebenden

des Krieges waren ja häufig Gewalttäter. Gewalt in der Schule und Prügel zu Hause und Armut in kinderreichen Familien – das prägt, das zerstört;

und wie befreit sich so ein Bauernjunge daraus?


Ja, wie tut er das?

In wenigen Tagen liegt der Roman vor, das in Klammern. Das ist das große Thema des Weg-Wollens, aber Dableiben-Müssens, und des früh Weg-Sollens, aber Dableiben-Wollens. Aus kinderreichen Familien wurden ja immer welche weggegeben. Noch in den 50er Jahren, hier bei uns in der Bundesrepublik! Kann sich der Bauernjunge da befreien, auch wenn sein Vater will, dass er da bleibt? Wie kann er bestehen gegenüber einem Vater, der stark sein will, es auch ist. Aber der Gang der Dinge, die Flurbereinigung ist stärker. Der Vater ist also auch Opfer, was ihn zum tragischen Helden macht, der aber seine Opferrolle nicht akzeptiert. Welche Chance hat da noch der Bauernjunge?


Womöglich durch Bildung?

Durch Bildungshunger und Bildung kann er die Grundlagen schaffen für die Befreiung. Was in diesen Verhältnissen ja kaum möglich ist: Der Bauer braucht ihn für die Arbeit, Schule ist ein unbezahlbarer Luxus, BAföG oder so was gab es auch noch nicht. Und überhaupt auf dem platten Land: Es gab ja kaum weiterführende Schulen. Höchstens der ein oder andere kirchliche Orden. Dieser Junge hat einen Bruder, der Missionar geworden ist, der als Kind hinter den Klostermauern des Herz-Jesu-Ordens verschwand.


Sie haben Ihren Roman bei einem Romanwettbewerb eingereicht…

Mit dem Ersten Preis war die Veröffentlichung im Zürcher KaMeRu Verlag verbunden, ein Verlag, der feine Bücher macht, die man gerne in die Hand nimmt!


Wie haben Sie von diesem Wettbewerb erfahren?

Der Wettbewerb war in den deutschsprachigen Ländern über das Internet ausgeschrieben, bei romansuche.de.


Haben Sie immer schon geschrieben?

Prosa hab ich erst spät begonnen zu schreiben …, das hatte einen Auslöser. Wie sag ich das…? Ich war Lehrer und wurde als Lehrer beinahe totgeschlagen, in der Schule, von Jugendlichen. Schwer verletzt. Wie konnte dir das passieren?, fragte ich mich. Ich verstand mich als engagierter Lehrer. Ich habe doch alles richtig gemacht, dachte ich. Ich wollte doch auch immer Jugendlichen helfen, ihren Weg zu finden. Wieso musste mich das treffen? Die Gewalterfahrung war für mich das einschneidende Erlebnis, das mich zwang, in meiner Geschichte zurückzugehen. Denn Gewalt war für mich ein bekanntes Thema, Gewalt an der Schule, Prügel zu Hause. Ich kenne leider auch Missbrauchserfahrungen in der Kirche damals.


Und diese Gewalterfahrung als Erwachsener war der Auslöser?

Ja. Auch mein Kehlkopf war verletzt, ich konnte ein halbes Jahr kaum reden. Da hab ich halt angefangen, Prosa zu schreiben und mehr zu lesen.


Sie planen mit dem Zürcher KaMeRu Verlag eine ganze Roman-Trilogie zu dem Thema.

Im zweiten Roman geht ein Revoluzzer aus einem Bauerndorf nach Berlin. Er kämpft für soziale Gerechtigkeit, doch als starrer Idealist stößt er, obwohl er es doch gut meint, auf Widerstand. Mehr will ich noch nicht verraten.


In diesem halben Jahr haben Sie angefangen, den Roman zu schreiben…

Das war ein langer Weg. Auf die Sprünge geholfen haben mir kreative Schreibkurse, auch die Bundesakademie für kulturelle Bildung in Wolfenbüttel. Und ich habe mich in Berlin dem Schreibclub Paul Schusters angeschlossen. Ohne seinen Glauben an mein Romanprojekt wäre es vielleicht nichts geworden.


Wie lange haben Sie gebraucht?

Ich habe sieben Jahre daran geschrieben. Der Roman hat 600 Manuskriptseiten und 460 Druckseiten. Vorher habe ich mich ja eher im sozialwissenschaftlichen und wissenschaftspolitischen Bereich engagiert - Beispiele sind meine Dissertation oder meine Diplomarbeit über Kinderarbeit in Deutschland - und weniger im persönlichen Bereich.


Sie arbeiten also sehr viel Persönliches in dem Roman auf?

Ja und nein. Es geht nicht um mich persönlich, auch nicht um mein Heimatdorf. Die Romanform erlaubt mir eine fiktive Gestaltung. Ende der 50er gerieten überall die Bauernkinder in die Minderheit, weil immer mehr Kleinbauern aufgaben. Das Bäuerliche wurde sehr verachtet, das Plattdeutsche, der Mistgestank, die Armut, das Kinderreiche… Viele mussten wegziehen, eine Landflucht. Weg konnte man über eine Büro- oder Handwerksausbildung...


Sie sind auch weggekommen…

Ich konnte nach der Sparkassenlehre mit Empfehlung des Pfarrers zum bischöflichen Kolleg in Münster, ein Institut des zweiten Bildungswegs. Und dann wollte ich in die Großstadt. In Berlin habe ich Philosophie und Soziologie studiert und nach dem Soziologie- und dem Kaufmanns-Diplom ein Handelslehrerdiplom erworben, sodass ich als Berufsschullehrer in die Berufsschule gehen konnte und später als Fachseminarleiter in die Lehrerausbildung.


Wo brannte Ihr Himmel – im Münsterland oder noch in Berlin?

Ich ging ja mit hochfliegenden Plänen und Hoffnungen in das vielversprechende Berlin 1971, aber die Enttäuschungen ließen auch hier nicht auf sich warten.


Welcher Art?

Das ist hier vielleicht zu früh, der zweite Roman, „Der Idealist“, soll im nächsten Jahr erscheinen, ebenfalls im KaMeRu Verlag.


Da werden wir dann also Antworten erfahren.

Bitte sehr.


Der Himmel brennt aber offensichtlich schon im ersten Roman. Wie wird er gelöscht?

Anfangs durch Beten, durch Züchtigen, der Junge gibt nicht auf, später löscht er auch mit Alkohol. Aber am Ende kann nicht mal mehr die Feuerwehr helfen, wenn alles in Flammen steht. Ich will das Ende nicht verraten.


In Ihrem Roman gibt es einen gewissen Humor, eine gewisse feine Selbstironie…

Ich hoffe, der Leser entdeckt den trockenen Münsterländischen Humor.


Was treibt Sie an als Autor?

Schreiben macht mich glücklich, wenn ich eine Szene als rund empfinde. Wenn ich denke, ja, das ist es, Kopf und Herz stimmen zu. Das zu finden, ist manchmal verflucht schwierig. Man muss seine inneren Vorbehalte ernst nehmen. Die 67 Kapitel sind intensiv miteinander verflochten, und ich wollte jeweils für den Zustand des Bauernjungen Bilder finden, die mich faszinieren. Und ich hoffe auch den Leser. Das ist dann wirklich beglückend. Immer wieder habe ich Neues probiert und oft lange keine Lösung gefunden. Ich habe den Roman mehrfach umgeschrieben. Deshalb hat „Mein Himmel brennt“ auch sieben Jahre gebraucht.


Haben Sie literarische Vorbilder?

Ein Anstoß für historische Entwicklungsromane war Der abentheuerliche Simplicissimus, in dem das Weg-Wollen und Dableiben-Müssen ein wichtiges Thema ist. Oder Anna Wimschneiders Herbstmilch, wo das karge Bäuerliche und das Durchhalten-Wollen mich sehr berührt haben, und in dem die dörfliche und religiöse Enge, die Armut und der Kinderreichtum eine zentrale Rolle spielen. Und Die Blechtrommel, die auch ein Kind als Helden hat. Faszinierend, wie der kindliche Held seinen Weg sucht.


Was möchten Sie der Welt mitgeben?

Ich finde es schön, wenn sich Leser mit meinen Romanen unterhalten können, und wenn mit dem Nacherleben des Schicksals des Bauernjungen auch in ihrem Selbst etwas anklingt. Wenn sie sich wiedererkennen und das vergnüglich finden, das fände ich toll.


Möchten Sie diese Menschen verändern?

Verändern ist zu viel. Wenn sie Verständnis finden für solch einen Bauernjungen, der sich aus existenzieller Not und Verzweiflung zu befreien versucht, das wäre schon viel.


Ich danke für das Gespräch

Bitte.

Das Interview führte Justinus Pieper.